Europas digitale Zukunft: Sollten wir stärker in Open-Source-Code investieren?

Was ist Open-Source-Software – und kann sie ein Teil von Europas Weg zur digitalen Souveränität sein?

Ein Beitrag von Anna Rasgauski, Softwareentwicklerin bei BusinessCode.

Die Technologie entwickelt sich in rasantem Tempo. Während künstliche Intelligenz weiterhin die Schlagzeilen beherrscht, gewinnt ein anderer wichtiger Trend an Fahrt: die Verlagerung hin zu Technologien aus europäischer Produktion. In Deutschland hat die Diskussion an Tiefe gewonnen, seit vermehrt über die Einführung eines sogenannten „Deutschland-Stacks“ gesprochen wird – einer standardisierten Technologiestruktur, die darauf abzielt, die digitale Infrastruktur der 16 Bundesländer zu vereinheitlichen. Derzeit verfolgt jedes Bundesland noch seinen eigenen Ansatz. Parallel dazu wächst das Interesse an der Einführung von Open-Source-Software als Mittel zur Verbesserung von Transparenz, Sicherheit und digitaler Souveränität.

Was ist überhaupt Open-Source-Software?

Beginnen wir mit einer Definition, was Open-Source-Software überhaupt ist. „Open-Source-Software ist Quellcode, der in Zusammenarbeit entwickelt und gepflegt wird. Jeder kann Open-Source-Software nach eigenem Ermessen nutzen, untersuchen, verändern und weiterverteilen, in der Regel kostenlos.“ Beispiele für Open-Source-Software sind LibreOffice, Mozilla Firefox und NextCloud. Durch eine einfache Websuche ist es leicht, den Code dieser Anwendungen zu finden. Open-Source umfasst nicht nur Anwendungen, sondern auch Programmiersprachen, Datenbanken, Betriebssysteme und Frameworks.

Nun zur nächsten Frage: Wo liegt der monetäre Anreiz, Open-Source-Software zu entwickeln? Natürlich verdienen die Hersteller von Open-Source-Code kein Geld durch Lizenzkosten, wie es die Hersteller von Closed-Source-Software wie Microsoft Word oder Adobe Illustrator tun. Aber es gibt eine Reihe von Dienstleistungen, die Open-Source-Entwickler:innen und -Unternehmen anbieten können, darunter Support und Beratung, Software-as-a-Service (SaaS), bei dem die Software für Kund:innen betrieben und gewartet wird, und bezahlte Funktionsanfragen, d. h. die Open-Source-Entwickler:innen werden dafür bezahlt, eine bestimmte Funktion nach Bedarf zu entwickeln.

Was für Vorteile kann Open-Source-Software haben?

In einem kürzlich erschienenen Artikel beschreibt der CEO von NextCloud, Frank Karlitschek, warum wir Open-Source-Software verwenden sollten. Er weist darauf hin, dass eine der Sorgen bei der Abhängigkeit von Software außerhalb Europas die Abhängigkeit von Updates und Sicherheitspatches dieser Unternehmen ist. Das heißt es wäre möglich, die von uns genutzten IT-Dienste zu sanktionieren, wenn diese Unternehmen dies wollten oder einen Anreiz dazu hätten. Open-Source-Software hingegen kann transparent überprüft und bei Bedarf unabhängig von den ursprünglichen Entwickler:innen weiterentwickelt werden.

Außerdem stellt Karlitschek fest, dass einige Regierungen eine vollständige technologische Autonomie anstreben und ihren eigenen Software-Stack entwickeln. Er führt weiter aus, dass es für den öffentlichen Sektor schwierig ist, solche langfristigen Projekte zu finanzieren – schließlich geht es dabei nicht nur um die Entwicklung von Software, sondern auch um die Herstellung von Chips und Speichermedien und die Gewinnung von Rohstoffen, einschließlich Seltener Erden – ein Thema, das eine bestimmte Regierung in letzter Zeit besonders interessiert. Personal mit den erforderlichen Fähigkeiten und Erfahrungen zu finden, ist auf dem derzeitigen Markt schwierig, und der öffentliche Sektor muss dann auch mit dem freien Markt konkurrieren. Dies führt dazu, dass der öffentliche Sektor externe Unternehmen mit der Durchführung der Aufgabe beauftragt. Dies wiederum kann dazu führen, dass die intrinsische Motivation oft verloren geht und zu kurzfristigen und nicht skalierbaren Lösungen führen kann, so Karlitschek.

Er führt weiter aus, dass Open-Source-Software vor Vendor-Lock-in schützt. Vendor-Lock-in bedeutet, dass Kunden so stark von einem Produkt oder Dienstleister abhängig sind, dass ein Wechsel wirtschaftlich kaum möglich ist. Da Open-Source-Lizenzen jedoch die Interessen der Nutzer:innen – und nicht die der Anbieter – in den Mittelpunkt stellen, komme es laut ihm gar nicht erst zu einer solchen Abhängigkeit.

Warum übernehmen wir nicht einfach den US-amerikanischen Ansatz?

Zum Zeitpunkt der Erstellung dieses Berichts (Mai 2025) hatten die sieben größten US-Tech-Unternehmen Alphabet (Google), Amazon, Apple, Broadcom, Meta, Microsoft sowie Nvidia und Tesla zusammen eine Marktkapitalisierung von 16,3 Billionen USD. Das ist etwa 14 Mal so viel wie die sieben größten europäischen Technologieunternehmen (Adyen, Arm Holdings, ASML, Infineon, SAP, Schneider Electric und Spotify), die zusammen eine Marktkapitalisierung von 1,2 Billionen USD haben. Bemerkenswert ist auch, dass die sieben größten US-Unternehmen in jeder Branche zufällig dieselben sieben sind, während nur SAP und ASML zu den sieben größten europäischen Unternehmen gehören. Dies erklärt zum Teil, warum Europa so abhängig von den Produkten vieler dieser US-Unternehmen ist. Sie haben einen enormen Marktanteil, und der europäische Markt ist nicht so stark auf den Technologiesektor konzentriert. Das liegt zum Teil an der stärkeren Regulierung in Europa – die es den US-Unternehmen ermöglicht, schneller auf einen sich verändernden Markt zu reagieren – und an den viel strengeren Arbeitsgesetzen. Bis April dieses Jahres wurden in den USA in 254 Unternehmen 60.000 Menschen entlassen.

Ein weiterer Faktor ist, dass europäische Unternehmer:innen tendenziell risikoscheuer sind als ihre US-Kolleg:innen. US-Unternehmen scheuen sich im Allgemeinen weniger, hohe Schulden zu machen, um sich einen großen Marktanteil zu sichern. Wie Bill Gates einmal sagte: „To win big, you sometimes have to take big risks“ – das ist weit entfernt von der in Deutschland bis vor kurzem praktizierten ‚schwarzen Null‘, bei der die Staatsverschuldung nicht steigen darf – eine allgemeine Ansicht, die in weiten Teilen der Bevölkerung geteilt wird.

Und nun?

Es ist klar, dass die bestehenden Lösungen, die wir in Europa verwenden, uns an den unbefriedigenden Punkt gebracht haben, an dem wir uns jetzt befinden. Wenn wir in Europa am technologischen Wettlauf teilnehmen wollen, müssen wir technologisch innovativer werden und Produkte entwickeln, die mit den sieben führenden US-Tech-Unternehmen konkurrieren können. Wir sollten verschiedene Methoden erforschen, um Lösungen zu finden, und uns nicht nur auf das Ergebnis – und sei es ein schnelles – konzentrieren, wenn wir eine echte langfristige Lösung finden wollen. Umwelt-, Ungleichheits- und Lebenserwartungskennzahlen schneiden in Europa in der Regel besser ab als in den USA, und wenn wir dies beibehalten wollen, dann besteht die Lösung nicht darin, zu versuchen, das US-Modell durch Deregulierung und Abbau des sozialen Sicherheitsnetzes nachzubauen.

Open-Source-Code ist eigentlich nichts Neues – den Begriff Open-Source gibt es schon seit 1999, aber Open-Source-Software ermöglicht es Entwickler:innen, frei in die Welt der großen Anwendungen einzutauchen und voneinander zu lernen und Ideen auszutauschen, wodurch die Tür für gegenseitiges Lernen, Entwicklung und Wettbewerb neuer Ideen und Lösungen geöffnet wird, während gleichzeitig hohe Regulierungsstandards eingehalten werden. Vielleicht ist es jetzt an der Zeit, Open-Source-Produkten neuen Schwung zu verleihen und sie in den deutschen Ansatz für den Deutschland-Stack und die allgemeine Umstellung auf europäische Technologien für eine langfristige, sichere und transparente Lösung einzubeziehen. 

Beitragsfoto von Artem Beliaikin (@belart84) auf Unsplash.